32. Spieltag 2. Bundesliga (09.05.2004)
LR Ahlen - 1. FC Union Berlin 1:0 (0:0)
Nachdem mich die Rechenschieberfraktion fast soweit hatte, wieder an ein Wunder zu glauben, und die Mannschaft ja in den letzten Spielen durchaus überzeugen konnte, stand mein Entschluss fest: Ich werde es tun. Ich werde dieses Stadion nochmal betreten. Das Stadion welches mir vor ziemlich genau vier Jahren meine schmerzvollste Niederlage bescherte: das Wersestadion in Ahlen. Dort fanden damals nicht nur die Zweitligaträume der Unioner ein jähes Ende, nein - es war auch die Niederlage einer eigenständig gewachsenen Fußballkultur gegen eine erschreckende Kommerzwelt, die wir damals überhaupt gar nicht fassen konnten, war es doch im Grunde noch mit eines der ersten Spiele in den alten Bundesländern.
Das Ende ist bekannt und gestern sollte alles anders werden. Wurde es aber nicht. Vor irgendwas über 5.500 Zuschauern gewann LR Ahlen durch einen Freistoßtor in der 80. Minute mit 1:0. Damit wurde im 100. Zweitligaspiel des 1. FC Union der Abstieg aus der 2. Bundesliga hinein in eine ungewisse Zukunft besiegelt. Verdient – möchte ich noch hinzufügen. Was sich durch die gesamte Hinrunde und Teile der Rückrunde zog, fand gestern in Ahlen seinen traurigen Höhepunkt. Eine kraft-, mut- und willenslose Mannschaft, scheiterte gegen einen Gegner, der vom Start weg aggressiv und konzentriert in die Zweikämpfe ging, der fast jedes Kopfballduell gewann und lediglich durch die eigene Abschlussschwäche das Spiel unnötig spannend hielt. Einzig die etwa 800 Unioner im Gästeblock waren auf der Höhe und versuchten nochmal (fast) alles. Ohne Erfolg. Am Ende siegte wieder der Kommerz.
Und da wir ja bald weg sind und ich niemanden mehr in die Augen schauen muss, kann ich noch ein letztes Mal so richtig vom Leder ziehen. Also los:
Leichtathletik Rasensport Ahlen. Dieser Verein, dessen Name schon eine Verballhornung jedes echten Fußballfans ist, wurde gestern wieder mal so richtig mein bester Kumpel. Dieses in wenigen Jahren aufgebaute Kunstobjekt, ist eine Bestrafung für jeden Gästefan. In unserer Runde wurde gestern gefragt, welchen Verein man denn unterstützen würde, wenn man in Ahlen geboren worden wäre. Über den BVB, RWE und Bielefeld war fast alles dabei. Geeinigt haben wir uns schließlich auf den VfL Osnabrück. Den LR Ahlen hat keiner genannt. Warum, das war schon vor dem Anpfiff klar. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten, schallte mir aus der Lautsprecheranlage unser aller Freund DJ Ötzi entgegen. Wie hinterwäldlerisch muss man eigentlich sein, diese Mumie schlechten Geschmacks seinen Gästen heutzutage noch anzubieten? Überboten wurde das Ganze dann sogar noch von der 15 Minuten XL-Version des „Holzmichl“, einem Song, der vielleicht im Erzgebirge die Massen zum schunkeln einladen kann, aber auch da nur aus schnödem Lokalpatriotismus.
Als nächstes Highlight wurden dann die sogenannten „LR-Devils“ in den Ring geworfen, die lokale Cheerleadergruppe. Wo man in anderen Stadien während dieser Form fehlgeleitetem Stimmungsenthusiasmus wenigstens noch halbwegs attraktive, junge Damen vorgeführt bekommt, stand dort eine Bande von 7-11 jährigen Kindern vor dem leeren Ahlen-Fanblock und zappelte nach schlechter Tape-Mukke was die dürren Beinchen hergaben. Kein Vorwurf an die Kids, die wollen sicher nur ihren Spaß. Aber wo sind in solchen Situationen bitteschön die Eltern? Muss das sein? Und wo waren überhaupt die LRA-Fans? Doch nicht alle für 1 € hinterm Block H sich das Bier hinter die Kiemen kippen? Wahrscheinlich waren die vor Peinlichkeit berührt alle schnell nochmal auf der Toilette. Die kennen das Spielchen ja sicher schon. Nicht so die Gästefans, welche mit offenem Mund und Tränen in den Augen dieser Kindesmisshandlung zusahen. Und so zog es sich bis zum Anpfiff hin, DJ Uwe legte schmissige Schlager auf und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, gab es beim Einlauf der Gladiatoren plötzlich den Cut von Wolle Petry (oder irgendwas anderes ähnlich schlechtes) hin zu den „Hell’s Bell’s“ von AC/DC. Was für ein Kulturschock.
Auf das Spiel muss man nicht weiter eingehen. Heimspiel für Union war angesagt. Der Stadionsprecher mühte sich redlich die Stimmung anzuheben – bemerkenswert, dass er es immer wieder versuchte. Und genauso peinlich. Lustig auch bei einer der zwei Unionchancen – Sobotzik schießt den Ahlener Torwart an - akustische Reaktion: „Im Tor des LR Ahlen steht Bernd? ….! Bernd? ….! Beeeeeernd? ….!“ Ja bitte, wer denn nun? Bernd, das Brot? Nach dem 1:0 überschlugen sich fast die Ereignisse, als der Sprecher eindringlich die Tribüne bat stehen zu bleiben und das Team die letzten 10 Minuten lautstark zu unterstützen, was jedoch nur zur Folge hatte, das die Tribüne sich sofort geschlossen wieder hinsetzte.
Der Fanblock gab ein ebenso trostloses Bild ab. Zwar kamen manchmal Gesangsfetzen zu uns rüber, aber optisch gab es viel mehr zu sehen. Doch nichts Gutes. Dort wo in anderen Fanszenen neuerdings ein Capo die Stimmung vorgibt, scheinen diese Aufgabe in Ahlen die älteren Mitglieder der „LR–Devils“ inne zu haben. Diese gaben nämlich sowohl den Klatschrythmus als auch die Armbewegungen vor. Ich glaube sogar erkannt zu haben, dass die „LR–Devils“ eine „Humba“ initiiert haben, bei der auch so etwa 20 Fans mitgemacht haben. Mit einem Wort – traurig.
Tja und das war es ja noch nicht. Nach dem Abpfiff fiel DJ Uwe als erste CD „We are the Champions“ in den CD-Player. Wohl so eine Art von Selbstironie, keine Ahnung. Und auch die Durchsage das die Party hinterm Block H (mit dem Bier für 1 €) nach dem Spiel in die Verlängerung gehen würde, sorgte im Stadion für große Freude. Als wir eine halbe Stunde später da vorbei mussten, war ich ja auf alles gefasst, aber nicht darauf, das wohl höchstens 35 Ahlener am Bierstand standen und zu der 15 Minuten XL-Version des „Holzmichl’s“ eine … nun ja … „Feier“ zelebrierten. Alle anderen mussten wohl schnell nach Hause. Oder waren peinlich berührt auf Toilette.
Peinlich berührt war ich dann auch nochmal kurz, als wir Richtung Auto entlang der Werse liefen. Am anderen Ufer stehen da ja Bäume und in diesen Bäumen müssen wohl 4-5 Mädchen (oder sehr junge Knaben) gesessen haben. Ich weiß es nicht genau, man konnte sie ja leider nur hören. Diese hatten nichts Besseres zu tun, als mit „Scheiss Uniohoon“ oder „Hier regiert der L – R – Ahlen“ auf sich aufmerksam zu machen. Puh, Junge. Ich bin schon am Rudolf-Harbig-Stadion durch ein Spalier Dynamo Dresden Fans gegangen. Und gegen den BFC haben wir ja auch schon so manche Klinge ausgefochten. Aber DAS… ich gebe es zu, DAS hat mich wirklich verletzt. Gedemütigt von der Ahlener Jugend, vom Stadion verjagt wie eine räudige Katze. Das tat weh. Hey, ich komme aus Berlin verdammt.
Tja, liebe Freunde. Und das ist es, was diesen Tag in Ahlen gestern wieder so richtig schmerzhaft machte. Wir sind abgestiegen, schön und gut. Aber wir sind in Ahlen abgestiegen. Und DAS, das tut wirklich weh. Trösten kann ich mich nur damit, dass (wenn wir schon nicht mehr mitspielen dürfen) der Leichtathletik Rasensport Club aus Ahlen weiterhin die Gästefans der 2. Liga malträtieren darf. Und hoffentlich steigen die schnell in die erste Liga auf. HarHar. Ich fahre da jedenfalls nie wieder hin. Versprochen. Und ich kann jedem Fan, dessen Verein mal in Ahlen spielen muss, nur raten – Junge, gehe an diesem Wochenende lieber arbeiten und hole Dir etwas Extrakohle. Alles andere wäre fatal. Amen.
P.S.: Ich bin kein schlechter Verlierer. Ihr seid schlechte Gastgeber. Jawohl.